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Das Bomben-Eiland
Die Einwohner einer kleine Karibikinsel kämpfen seit
Jahrzehnten gegen einen Navy-Stützpunkt.
Die Insel Vieques liegt in der Karibik, in der der Nähe von Puerto Rico. Schon in vorkolumbianischer Zeit war das Eilland besiedelt. Ursprügliche Bewohner waren die Tainos, im Laufe der Jahrhunderte kamen aus Afrika verschleppte Sklaven und ab dem 19. Jahrhundert Landarbeiter aus ganz Lateinamerika hinzu. Die Einwohner litten unter verschiedensten Eroberern, Spaniern, Engländern und Franzosen. 400 Jahren Kolonialherrschaft waren aber keineswegs beendet, als Vieques nach dem spanisch-amerikanischen Krieg 1898 von den USA annektiert wurde. Es folgten Jahre von Militär- und Zwangsverwaltung. Erst 1917 erhielten die Einwohner der Insel US-Staatbürgerschaft, erst seit 1948 haben sie das Wahlrecht. 1938 begann die USA mit dem Aufbau eines Militärstützpunktes der US-Navy (Marine) in Vieques, der seitdem vor allem als Übungsplatz für scharfe Munition und als Lagerplatz für Bomben genutzt wurde.
Seit 1941 wurde systematisch Land enteignet und viele Familien verloren ihre Einkommensbasis. Sie mußten ihr Land zu einem von der Navy festgelegten Niedrigpreis verkaufen. Falls Ihr Besitztitel nicht anerkannt wurde, mußten sie sogar Haus und Hof innerhalb von 48 Stunden räumen. Auf diese Weise eignete sich das Militär 65 von den 82,5 km2, 75 Prozent der Insel an. Viele Leute mußten die Insel verlassen. Diejenigen Einwohner, die nicht vertrieben wurden, drängen sich auf dem verbliebenen Rest. 1947 und 1961 wurde gar die völlige Entsiedelung der Insel geplant. Die Pläne des Militärs scheiterten aber auf der politischen Ebene. Auch ein Versuch der Navy im Jahr 1964, die Südküste zu besetzen, scheiterte schließlich, als Delegationen der Einwohner in die Hauptstadt des Bundesstaates und nach Washington fuhren und bei den Behörden Protest einlegte.
Die ökonomische Situation für die heute 9400 auf dem Rest der Insel Verbliebenen ist schlecht. Viele arbeiten in einem Werk der General Electric, das aber in diesem Sommer schließen wird. Fischen ist nach der Enteignung der fruchtbarsten Gebiete der Insel die einzige andere Ernährungsmöglichkeits. Aber auch das hat seine Probleme. Navy-Schiffe zerstören oft die Bojen, an denen die Netze der Fischer hängen. Die Netze sind dann für die Fischer verloren, treiben aber weiter im Meer und stellen für den ohnehin bedrohten Fischbestand in der Gegend eine Gefahr dar. Laut einer Untersuchung des US-Landwirtschaftsministeriums vernichtet ein einziges solches verlorenes Netz innerhalb von 10 Monaten 4500 bis 5000 Pfund Fisch. Allein im Jahre 1977 ließen Navy-Schiffe 131 Netze verloren gehen.
Auch die Umweltschäden auf der Insel selbst sind nicht unbeträchtlich. Viele Pflanzen und Tiere werden durch direkten Beschuß vernichtet. Andere gehen an den giftigen Niederschlägen der Bomben ein. In einem Artikel im Jahre 1988 schrieb der Ingenieur und Umweltberater Rafael Cruz Perez: " nach den Informationen, die die Navy selbst herausgebracht hat, werden diese Überreste niemals beseitigt. Bei zusätzlichen Explosionen und durch den Seewind, werden die Stoffe oxidiert oder zerstört und in Verbindungen verwandelt, die die Umwelt belasten." Eine Navy-eigene Studie sagt aus, daß das Trinkwasser in den Inselsiedlungen Isabel Segunda und Barrio Esperanza mit toxischen Substanzen wie TNT, Tetryl und RDX belastet ist, obwohl sie 14 km vom Schießplatz enfernt sind. Auch nach einer Studie der US-Umweltschutzbehörde in den siebziger Jahren ist Luft und Boden mit den unterschiedlichsten giftigen Substanzen belastet.
Dementsprechend sind die Einwohner von Vieques stark durch Krebs und andere ernste Krankheiten belastet. Studien des Gesundheitsamtes von Puerto Rico zeigen, daß zwischen 1985 und 1989 die Krebsrate 26 Prozent höher lag als in Puerto Rico. Ein Professor der Universität von Puerto Rico, Rivera Castano, dokumentierte, daß die Einwohner auch ungewöhnlich stark von einer Reihe von seltenen Krankheiten wie Sklerodermie, Lupus und Schilddrüsenfehlfunktionen befallen sind, aber auch anderen, die nicht so selten sind, wie beispielweise Asthma. „Wie können“, fragt er, „die Kinder auf einer so kleinen Insel Asthma bekommen? Die Winde, die vom Meer kommen, enthalten sehr viel Jod, das Asthma verhindert sollte. Der einzige mögliche Grund ist die Luftverschmutzung. Wir haben hier aber keine Fabriken. Der einzíge Luftverschmutzer ist die Navy.“
Hinzu kommen dann noch die Exzesse von Alkohol, Prostitution und Gewalt, mit denen die auf der Insel ansässige Navy-Angehörigen die Inselbewohner belästigen. In deren Gefolge gab es auch wiederholt Verletzte unter den Einwohnern, einmal wurde sogar ein Ladenbesitzer ermordet, der sich geweigert hatte, Soldaten Alkohol zu verkaufen. Dennoch wurden die Navy-Angehörigen in der Regel freigesprochen oder kamen mit milden Strafen davon.
Die Fischer von Vieques sind sehr couragiert und haben schon einige Male die US-Navy blockiert. Beispielsweise 1978, als der Admiral Robert Fanagan während eines NATO-Manövers für 3 Wochen das Fischen verbot. Am 6. Februar drangen 40 Fischer in das Manövergebiet ein, wo die NATO-Schiffe gerade beginnen wollten, mit scharfer Munition zu üben. Es gelang ihnen durch ihre Aktionen den Abbruch des Manövers zu erreichen, und damit die Öffentlichkeit und viele Sympathisanten für ihren Kampf zu gewinnen.
Am 26. April 1993 wurde das Komitee für die Befreiung und Entwicklung von Vieques (CDRV) gegründet. Das Komitee organisierte zahlreiche politische Initiativen im Bundesstaat und in Washington und beschaffte und verbreitete Informationen über die Gefahren des Militärstützpunkt. So gelang es ihm nachzuweisen, daß in Vieques auch Munition mit Uran benutzt wird. Nachdem am 19. April 1999 ein Angehöriger des Wachschutzes, David Sanes Rodriguez, auf dem Navy-Gelände durch eine fehlgegangene 500-Pfund-Bombe getötet wurde, nahm die Welle der Proteste nicht mehr ab. Mitglieder des Komitees besetzten den Ort des Unfalls. Feierlich bekam der von Munition aller Art verseuchte Platz einen Namen: Mount David, zum Gedächtnis an den Verstorbenen. Bald gab es im Zielgebiet über 14 verschiedene Lager, in denen unter Gefährdung des eigenen Lebens Hunderte von Leuten lebten.
Schließlich ließen die Bundesbehörden unter Einsatz von brutaler Gewalt den zivilen Widerstand brechen und die Lager räumen. Weitere Platzbesetzungen, Protestlager und Verhaftungen folgten seitdem. Besonders bezeichnend für die Nervosität der US-Behörden ist, daß 32 von 42 Einwohnern von Vieques, die im Jahre 2001 vor dem UN-Gebäude in New York für ihre Rechte und gegen die US-Navy demonstriert hatten über Wochen in Untersuchungshaft gehalten und schließlich wegen "ungebührlichen Verhaltens" zu je einem Jahr Gefängnis mit Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt wurden. Zugleich geht es aber für das CDRV um die Vorbereitung einer freien und eigenständigen Entwicklung von Vieques nach dem Fall des Stützpunktes. Vieques soll danach nicht in die Hände mächtiger ökonomischer Interessen oder Spekulanten fallen. Zu diesem Zweck gibt es vielfältige Kontakte zu wissenschaftlichen Einrichtungen und Hilfsorganisationen innerhalb und außerhalb der USA. "Für das CDRV", heißt es in einer Erklärung, "ist Frieden mehr als das Ende des Bombens, es ist auch Arbeit in Würde, der Zugang zu Natur und Kultur der Heimat, die Chance in einer gesunden Umwelt zu leben und Hoffnung zu haben für eine positive Zukunft der nächsten Generation auf Vieques."
Präsident Clinton und später Präsident Bush versprachen die Aufgabe des Stützpunktes. Aber die Navy weigerte sich selbst den bisher abgelagerten militärischen Giftmüll zu entsorgen und reagiert immer gewalttätiger auf friedliche Demonstranten. Seit dem Tod des Sicherheitsmannes und unter dem Eindruck nicht abreißender Proteste und Interventionen hat sie bis zum Mai dieses Jahres immerhin den Einsatz von scharfen Bomben und das Waffentraining auf dem Stützpunkt eingestellt. Aber seitdem werden die Einsätze wieder fortgesetzt. Die Bush-Administration überlegt zwar, ob sie wegen der starken Proteste ab 2003 das Bomben von Vieques völlig einstellt. Es gibt aber auch starke Stimmen in der Administration, die die Weiterführung des Bombodroms befürworten - im Hinblick auf Wählerstimmen in anderen von Manövern betroffenen Gebieten, die dann stärker belastet würden. Auch die Ansichten der Militärs sind von keinerlei Rücksichten auf die Zivilbevölkerung, sondern lediglich von militärtechnischen Erwägungen bestimmt. Nach Meinung einiger Militärs ist der Stützpunkt unentbehrlich, weil er der einzige Platz sei, wo die Atlantikflotte Luft-, Land- und Seeoperationen mit scharfer Munition üben kann. Andere meinen, daß Vieques gut sei für den Einsatz von konventionellen Bomben gegen feste Ziele, dagegen sei aber die Insel zu klein für den Einsatz von weitreichenden Präzisionswaffen und nur teilweise geeignet für die Übung von Einsätzen gegen bewegliche Ziele.
Inzwischen hat das Militär der USA einen traurigen Sieg über die Zivilgesetzgebung errungen: Ende April diesen Jahres hatte ein Bundesrichter auf Antrag von Umweltschützern eine 30-tägige Pause für Manöver auf Farallon de Medinilla, einer unbewohnten Insel, geboten. Die Umweltschützer hatten nachgewiesen, daß durch das Manöver Vogelarten in ihrer Existenz gefährdet werden, die durch US-Gesetze geschützt sind. Sie bestanden darauf, daß das Militär nicht über dem Gesetz steht. Der Richter war durchaus nicht militärunfreundlich, aber forderte das Militär auf, ihm innerhalb der 30-Tage-Frist Bestimmungen zu übergeben, nach dem es eine Ausnahme von der nationalen Gesetzgebung verlangen kann. Unter Berufung auf die durch das Flugzeugattentat am 11. September entstandene Notstandssituation forderte daraufhin das Pentagon vom Wahingtoner Kongreß eine Aussetzung der Naturschutzgesetzgebung für das Militär. Nach heftiger Debatte stimmte der republikanisch bestimmte Kongreß am 2. Mai zu, daß das Militär eine Reihe von Naturschutzgesetzen nicht beachten muß, den Vogelschutz, den Schutz für gefährdete Arten, den Waalschutz und die Luftreinhaltungsbestimmungen. Damit ist auf den 62500 km2 Land unter Kontrolle des US-Militärs jetzt das Naturschutzgesetz zu großen Teilen nicht mehr gültig. Das Waalschutzabkommen gehört offensichtlich deshalb zu den aufgehobenen Gesetzen, weil mittlerweile dem US-Militär der Nachweis droht, daß die zahlreichen Waalstrandungen der letzten Jahre Folge ihrer Sonarexperimente sind.
Bob Rabin, der wegen seiner Proteste gegen das Vieques-Manövergebiet gerade
in Untersuchungshaft sitzt, sendete an die Mitkämpfer außerhalb der Gefängnismauern
folgende Botschaft: „Im Kampf für Frieden in Vieques erinnern wir uns oft
an bekannte Persönlichkeiten wie Robert Kennedy, Al Sharpton und andere. Aber
von größerer Bedeutung für unseren Kampf ist die große Zahl von ganz gewöhnlichen
Leuten, die gekämpft hat, mit einem großen Risiko für die Sicherheit ihrer
Person eingesperrt wurden und hohe Kosten mit ihren Familien tragen mußten.
Einfache Leute wie Don Ismael von Camuy. Im Alter von siebzig Jahren wurde
er zum zweiten Mal in der Feuerzone von Vieques verhaftet. Gewöhnliche Leute
wie der junge Santos aus Naguabo und andere Leute aus Vieques, die auch eingesperrt
wurden. Von ihnen müssen von ihnen wissen und sie müssen wir ehren.“
Mehr Infos zu Vieques
www.freieheide.nb.de/Vieques